Die Stadt Lünen und der Schützenverein von 1332 e.V.


 

 

Es stimmt sicher nicht, dass Adam direkt nach der Vertreibung aus dem Paradies einem Schützenverein beigetreten ist, und niemand vermag heute zu sagen, wann die ersten Schützenvereine entstanden sind.

Sicher ist lediglich, dass sich mit dem Aufblühen der Städte Gemeinschaften zum Schutze des Lebens und Eigentums der Menschen bildeten. So steht die Behauptung im Raum, dass bereits bei den Stadtgründungen Karls des Großen Schützengesellschaften ins Leben gerufen wurden.

S. von Förster verweist besonders auf die Städtegründungen unter Heinrich I. (919 bis 936).

Er führt unter anderem aus:

„Die Bürger nun, die um die Burg wohnten, hatten die erste Nationalbewaffnung, und so entstanden die Burgmänner und Hörigen, unterdes in den Städten, wo keine Burg war, sich zu ihrem Schutz die Gilden bildeten, welche zum Handel und Gewerbestand als freie Deutsche gehörten.“

Es ist anzunehmen, dass zum Schutze des Umlandes und der Stadt bereits vor der Verlegung Lünens auf das südliche Lippeufer durch den Grafen Adolf von der Mark im Jahre 1336 eine Notgemeinschaft zum Schutze der Bürger bestanden hat.

Wir wissen auch, dass der Rat der Stadt Dortmund seinen Schützen im Jahre 1378 eine neue Ordnung gab, was besagt, dass dort bereits vorher eine Schützengesellschaft bestanden hat. Manche jahrhundertealte Gepflogenheit der Lüner Schützen finden wir in dieser Ordnung wieder, z.B. die „Kogel“, auf die wir später noch zu sprechen kommen. Auch in Lünen dürften im früheren Mittelalter vor allem Gewerbetreibende und der Handel in einer Schützengilde zusammengeschlossen gewesen sein. Hatte doch Graf Adolf verboten, auf dem flachen Lande Gewerbe zu treiben, so dass die Handwerker und Krämer gezwungen waren, aus den angrenzenden drei Bauernschaften in die Stadt zu ziehen. Der Aufbau der jungen Stadt Lünen dürfte im Wesentlichen in Gemeinschaftsarbeit geschehen sein, wobei Mann für Mann zu Hilfeleistungen verpflichtet waren. Gemeinsames Tun aber fördert auch den Gemeinsinn, und die unruhigen Zeiten einerseits wie die strategische Lage andererseits forderten die Bürger direkt heraus, das Gemeinwesen zu schützen.

Lünen, die märkische Landfestung, stieß an das Hochstift Münster, das zu Kurköln gehörende Vest Recklinghausen und an die Grafschaft Dortmund. Und da diese bekanntlich auch gerne nahmen, was sie ohne Schwierigkeiten bekommen konnten, wurde Lünen sehr bald zur bestmöglichen Selbstverteidigung hergerichtet.

Die Lünen umgebende „Feldmark“ war von einer Landwehr umgeben. Sie bestand aus einem Erdwall mit Sträuchern und einem Graben auf beiden Seiten. An den Wegen, die die Landwehr durchbrachen, befanden sich die von einem „Bäumer“ bewachten Schlagbäume. Nahte der Feind, wurden die Schlagbäume geschlossen und der „Bäumer“ warnte die Bürger, die sich schleunigst in der Stadt in Sicherheit brachten.

Durch die Lippe und Seseke besaß die Stadt an zwei Seiten einen natürlichen Schutz. Daneben war ein breiter und tiefer Graben ausgehoben worden, dessen Erde einen Wall bildete. Die auf diesem Wall „gepflanzten“ Palisaden wurden später größtenteils durch Mauern ersetzt.

An besonders gefährdeten Stellen befanden sich Türme, von denen der anrückende Feind beobachtet und beschossen werden konnte. Massive Tore mit Fachwerkaufbauten schützten die Zugänge zur Stadt. Die vor den Stadttoren angebrachten Zugbrücken wurden abends und bei Herannahen eines Feindes hochgezogen. Über die Gräben führten hölzerne Brücken, die abgedeckt werden konnten und damit ein Eindringen feindlich gesinnter Gruppen erschwerten. Die Landwehr und die übrigen Befestigungsanlagen sollten die Angreifer zunächst einmal aufhalten. So glich die befestigte Lippestadt im Mittelalter einer schwer einnehmbaren Wasserburg. Im Jahre 1598 musste Lünen zum ersten Mal seit Bestehen der neuen Stadt einem Trupp Soldaten die Tore öffnen. Im dreißig jährigen Krieg wurden die Stadtmauern mehrmals niedergerissen und wieder aufgebaut. Im sieben jährigen Kriege besorgten französische Besatzungssoldaten die Schleifung der Stadtmauern so gründlich, dass an eine Reparatur beziehungsweise an einen Wiederaufbau nicht zu denken war. Nach Beseitigung der Stadtmauer wurde Lünen zur offenen Landstadt.

Die Unterhaltung und Verteidigung der befestigten Stadt war von jeher Aufgabe der Bürgerschaft. Wer in Lünen das Bürgerrecht erwerben wollte, musste die vorgeschriebenen Waffen besitzen.

Die Stadt war in vier Rotten oder Schichte für den Verteidigungsfall eingeteilt. Der Wachtmeister eines jeden Bezirks achtete darauf, dass die Waffen der Bürger in Ordnung waren. Er leitete den Einsatz auf den Festungswerken. Er ordnete auch in Friedenszeiten an, wer nach der Reihenfolge der Häuser zum Tag- und Nachtdienst erscheinen musste. Die Hauptwache befand sich im Rathaus. Kleinere Abteilungen patrouillierten durch die Straßen oder hielten sich an den Toren auf, deren Pförtner ein besonderes Augenmerk auf alle hatten, die in die Stadt kamen. Aber auch mancher lichtscheuer Vogel, der mit seiner Diebesbeute die Stadt verlassen wollte, ging dem Pförtner ins Netz.

Der Bürgermeister hatte den Oberbefehl über die Stadt. Ihm wurden abends die Schlüssel der Stadt ausgehändigt.

Natürlich machte auch in Lünen der Nachtwächter eine Runde, rief die Stunden aus und mahnte die Bürger zur Ruhe.

Im Kriegsfall wurden Bürgerwachen an die Tore gelegt. Sie sollten den ersten Ansturm der Feinde abhalten. Währenddessen kündigte die Sturmglocke die drohende Gefahr an. Dann eilten alle wehrfähigen Bürger mit ihren Waffen zu den Mauern und Wällen, Türmen und Toren.

Besonders schwierig gestaltete sich der Schutz der Feldmark. Da waren Feinde zu verfolgen, wenn sie die Herden fortgetrieben hatten, oder es galt, die Nutzungsrechte der Bürger gegenüber den benachbarten Bauern und Gutsherren mit Waffengewalt zu verteidigen.

 

 

 

Oftmals aber genügte schon der Einsatz der Schützen, um Unheil und Gewalt von der Stadt abzuhalten. Sie waren die Kerntruppe der Stadtverteidigung, bei den sonntäglichen Übungen in der Cappenberger Heide besonders im Waffengebrauch geschult. Vor allem die jungen Bürger mussten an diesen Übungen teilnehmen, um später in die Reihen der alten Schützen aufgenommen zu werden.

An der Spitze der Schützengilde standen zwei „Vorgänger“, die den besonderen Schutz des Rates genossen. Sie riefen die Schützen zusammen, sie verteilten sie auf die Festungswerke und führten die Schützenausmärsche an. Empfindliche Strafen drohten denen, die die „Vorgänger“ beleidigten oder ihren Befehlen nicht nachkamen.

Die Schützenfeste, die von Zeit zu Zeit abgehalten wurden, waren zunächst einmal Leistungsprüfungen der Schützen. Der beste Schütze wurde als König mit besonderen Ehrungen und Vorzügen ausgestattet. Er trug an einer silbernen Kette einen silbernen Vogel, das Kleinod der Gesellschaft. Jeder König stiftete zu dieser Kette eine silberne Gedenkmünze.

Natürlich gestaltete sich schon bald ein solches Vogelschießen zu einem Volksfest, an dem die gesamte Bürgerschaft Anteil hatte. Dabei war es eine Ehrenpflicht der Schützen, auch den armen Bürgern durch Spenden die Teilnahme am Fest zu ermögliche.

Wie die gesamte Stadtverteidigung unterstand auch in Lünen die Schützengesellschaft dem Rat der Stadt. Von ihm erhielten die „Vorgänger“ ihre Befehle. Der Rat entschied auch bei Streitigkeiten und Klagen der Schützen untereinander in letzter Instanz. Er verlieh den Schützen ihre „Kogel“, eine Kopfbedeckung, die bei festlichen Gelegenheiten getragen wurde. Sie war eine besondere Auszeichnung. Wurde einem Schützen vom Rat die „Kogel“ genommen, kam das einem unehrenhaften Ausschluss aus der Schützengesellschaft gleich.

Auch die Lüner Schützengesellschaft hatte St. Fabian und St. Sebastian als Schutzpatrone, zwei Märtyrer, die unter den Pfeilen heidnischer Bogenschützen gestorben waren. Neben der Verteidigung der Stadt haben die Schützen von jeher die Gemeinschaft besonders gepflegt. Daneben war es eine ihrer wichtigsten Aufgaben, bedürftigen und armen Bürgern der Stadt zu helfen. Sie waren zu einem sittlich einwandfreien Leben verpflichtet.

Im Stadtarchiv befindet sich das neue Ortsstatut, dass der Rat der Stadt Lünen der Schützengesellschaft im Jahre 1566 verlieh: Es lohnt sich schon, ein wenig in diese Satzung unseres Vereins aus dem 16. Jahrhundert hineinzusehen:

„Wir, Bürgermeister und Rat der Stadt Lünen, sind mit unseren Schützen übereins gekommen, dass keiner ein Schütze sein soll, wenn er nicht der Gilde St. Sebastian und Fabian angehört.“

Die Schützengilde erfasst alle ehrenwerten Männer, die sich freiwillig dazu verpflichten, das Gemeinwohl der ganzen Stadt zu überwachen, und zwar allen sowohl von außen an die Stadt herangetragenen Gewalttätigkeiten mit der Waffe in der Hand gegenüber zu treten, als auch sich für innere Zucht und Ordnung zu sorgen und einzusetzen.

Da wurde dann beschlossen, dass jeder Schütze, der neu in die Gilde aufgenommen wurde, einen Schilling stiften musste, der den Armen gegeben wurde. Erschien jemand nicht zu den Zusammenkünften, hatte er ebenfalls einen Schilling zu zahlen.

Weitaus teurer wurde es schon, wenn sich Schützenbrüder zankten, bei schlechten Redensarten, Fluchen und Gotteslästerung. Dann war nämlich eine Tonne Bier zu geben. Zwei Tonnen Bier kostete es, wenn einer mit dem anderen uneinig wurde und zur Waffe griff oder nach einem Vergleich im Streitfall diesen nicht einhielt.

Die Unpünktlichen hatten drei Schilling Strafe zu entrichten, und für Streitigkeiten untereinander wurden zwei Tonnen Bier fällig, vielleicht nach dem Grundsatz, dass Bier beruhigt.

Besonders drastisch fielen die Strafen aus, wenn sich jemand gegen seinen Vorgesetzten wandte. Alle Uneinigkeiten unter den Schützen mussten den Vorgesetzten gemeldet werden. Brachte jemand eine Klage vor ohne sie genügend zu vertreten, gab er dafür eine Tonne Bier. Das gleiche galt bei Befehlsverweigerung und Entschuldigung. Und wenn jemand seine Zeche aus einer Schützen-Maßnahme bis zum nächsten Pflichttag nicht bezahlt hatte, musste er ebenfalls eine Tonne Bier geben.

Wir wissen nicht, wie viel eine Tonne Bier ausmachte, aber es scheint doch schon damals recht bierig bei den Schützen hergegangen zu sein. Die Wertschätzung des edlen Gerstensaftes ging so weit, dass man einen Schilling zu zahlen hatte, wenn man vergossenes Bier nicht mit dem Fuß oder der Hand bedecken konnte.

Die folgenden Jahrhunderte sind in ziemliches Dunkel gehüllt. Im Allgemeinen war vor allem in der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts ein Niedergang des Schützenwesens zu verzeichnen. Die alten Grundsätze der Schützen vertrugen sich schlecht mit dem preußischen Absolutismus auf der einen und Spießbürgertum und Herrenclubs der besseren Gesellschaft auf der anderen Seite.

Die Stadt selbst befand sich auf einem absoluten Tiefpunkt. Aber auch diese Zeit dürfte der Schützenverein recht gut überstanden haben. Lassen sich doch seit dem Jahre 1825 Schützenfeste und Schützenkönige in Lünen nachweisen.

Wie sehr gerade das Schützenwesen aus der Freiheitsbewegung des Jahres 1848 profitierte, zeigt die Gründung vieler Schützenvereine in dieser Zeit und die des Deutschen Schützenbundes am 2. Juli 1861.

Nachdem dann der erste Weltkrieg die Tätigkeit der Schützenvereine in Deutschland lahm gelegt hatte, besann man sich nach dem Kriege auf die alten Ideale. Das Schützenwesen erlebte zwischen den beiden Weltkriegen eine wahre Hochblüte. In Lünen hatte das Schützenfest von 1927 die gesamte Bürgerschaft erfasst. Der wirtschaftliche Niedergang gebot dieser Entwicklung aber schon bald Einhalt.

Im „Tausendjährigen Reich“ wurde versucht, das deutsche Schützenwesen im gleichgeschalteten Deutschen Schützenverband der Idee von der militärischen Volkserziehung unterzuordnen, bis jede Tätigkeit des Vereins im Bombenhagel und Kanonendonner unterging.

Noch vor der Wiedergründung des Deutschen Schützenbundes am 16. September 1961 trafen sich am 25. Oktober 1950 in der Gaststätte Mork an der Lange Straße beherzte Männer, um den Lüner Schützenverein wieder aufleben zu lassen.

Heute gehören dem Lüner Schützenverein nahezu 400 Mitglieder an. Fünf Kompanien, die Sportschützen und die Jugendabteilung sowie die Damen-Schießgruppe gestalten ein reges Vereinsleben und widmen sich in zunehmendem Maße dem sportlichen Schießen. Dazu gibt unser vereinseigener Schießstand „In der Geist“ gute Gelegenheit.

Unsere Vereinsgeschichte haben wir vor Ihren Augen in Kurzfassung ablaufen lassen. Dem aufmerksamen Leser dürfte dabei aufgefallen sein, dass das Schützenwesen seine Kraft aus der Geschichte zieht. Die Begriffe Glaube – Sitte – Heimat sollten uns Heutigen auch für die Zukunft und deren Bewältigung viel bedeuten.

 

 

Verfasser:

Heinrich-Otto Gresch †

Willy Blomenkemper †

 

Quellen:

Fr. Nigge: Bilder aus Lünens vergangenen Tagen (1914)

G. Spormecker: Chronik der Stadt Lünen

Dr. J. Lappe: Aus der Geschichte der Lüner Schützengesellschaft

L. v. Winterfeld: Geschichte Dortmund

S. v. Förster: Schützengilden und ihr Königsschießen (1856)

Festbuch zum Schützenfest 1982

Archiv des Lüner Schützenvereins von 1332 e. V.